Am Abgrund - Gedanken zum Abschuss von Malaysia Airlines MH17

Es kommt verdammt selten vor, das ich freiwillig darauf verzichte, eine aktuelle Situation in den Nachrichten zu verfolgen. Die Ereignisse um die Ortschaft Grabowo im Osten der Ukraine, sowie die reisserische Berichterstattung von allen Medien von der TAZ über Welt und Spiegel bis hin zu Sky News, haben jedoch genau dazu geführt. Zugegeben, was dort geschehen ist, ist ein grausames Verbrechen, die Bedrängung von Angehörigen am Flughafen Schiphol, an anderen öffentlichen Orten, und sogar in ihren eigenen Häusern und Wohnungen ist jedoch mindestens genau so abstossend, wie das Verhalten der Russischen Regierung und der "Separatisten" im Osten der Ukraine.
Ich habe diesen Artikel allerdings nicht angefangen, um Medienkritik zu üben. Wenn ich damit anfangen würde, dann müsste ich mir zwei Wochen Urlaub nehmen, um mir den ganzen Frust von der Seele zu schreiben. Ich persönlich will hier vor allem eines: Die Emotionen aus der Debatte nehmen, und zusammenfassen, was nach dem aktuellen Wissensstand vorgefallen ist. 
Malaysia Airlines Flug 17 war ein Regelmäßig verkehrender Linienflug von Amsterdam Schiphol nach Kuala Lumpur. Am 17. Juli hatte die Maschine um 12:14 ihre Parkposition an Gate G03 am Flughafen Amsterdam verlassen. Zuerst sah alles nach einem Normalen Flug aus. Dann, um 14:15 GMT, verschwand die Maschine, die mittlerweile auf Flugfläche 330, also in knapp 10.000 Metern Höhe flog, von den Radarschirmen der Ukrainischen Flugsicherung. Kurz danach begann ein Trümmerregen über der Ortschaft Hrabowe niederzugehen. Die ersten Berichte in den örtlichen Medien deuteten auf einen Abschuss einer Antonow An-26 hin, eines mittelgroßen Transportflugzeuges aus Sowjetischer und Ukrainischer Produktion, das im Ostukrainischen Bürgerkrieg schon des öfteren das Ziel von Flugabwehrraketen gewesen war. Als jedoch die ersten Trümmerteile in den Farben von Malaysia Airlines auf Fotos und Videos auftauchten, wurde schlagartig klar, das es zu einem grauenhaften Zwischenfall gekommen sein musste. 
In den folgenden Stunden tauchten dann Mitschnitte von Telefongesprächen auf, die darauf hindeuteten, das Malaysia Airlines Flug 17 von den Pro-Russischen Separatisten abgeschossen worden war. Posts auf sozialen Netzwerken wie vkontakte.ru, die den Führern der Separatistenbewegung zugeordnet werden konnten, deuteten ebenfalls darauf hin. Kurz danach verschwanden diese Postings jedoch ziemlich schnell wieder, und im Kreml begann man mit einer Schadensbegrenzungsoffensive, und versuchte, die Verantwortung für diesen Zwischenfall der Ukraine anzulasten.
Nun ist der Abschuss eines Flugzeuges, das in knapp 10 Kilometern Höhe mit 800 Stundenkilometern oder mehr unterwegs ist, kein Kinderspiel. Da braucht man etwas mehr als die schultergestarteten Flugabwehr-Rakten vom Typ Stinger, Mistral, oder Strela, wie sie sich bei Aufständischen auf aller Welt höchster Beliebtheit erfreuen. Interessanterweise war den "Separatisten" im Laufe des Bürgerkriegs ein System in die Hände gefallen, das dafür recht gut geeignet war. 
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Die einzelnen Komponenten des Buk-Flugabwehrsystems. Ganz links steht ein Radar-, und Kommandofahrzeug, in der Mitte ein kombiniertes Radar-, und Startfahrzeug, während ganz rechts ein reines Startfahrzeug zu sehen ist.


Das Flugabwehr-Raketensystem 9K37 Buk, NATO-Codename SA-11 Gadfly, wurde in den 1970ern in der Sowjetunion entwickelt, und dient als Punktverteidigungssystem mit relativ kurzer Reichweite. Es benutzt Raketen mit Passiver Radarlenkung, die über eine Reichweite von 42 Kilometern haben, und Höhen von bis zu 25 Kilometern erreichen können. Passive Radarlenkung bedeutet, das die Raketen nur einen Radarempfänger an Bord haben, und darauf angewiesen sind, das die Ziele von einem Feuerleitsystem am Boden "beleuchtet" werden. Da die Geschosse vom Typ 9M38 eine Geschwindigkeit von Mach 3 erreichen können, ist es de facto unmöglich, ihnen auszuweichen, wenn man nicht über entsprechende Gegenmassnahmen wie Störsender, Radarwarnempfänger, oder ähnliches verfügt.
Das Buk-System besteht in aller Regel aus mehreren Komponenten, einem Kommandofahrzeug, einem separaten Radarfahrzeug zur Zielerfassung, mehreren kombinierten Radar-, und Startfahrzeugen, sowie einigen reinen Startfahrzeugen für Flugabwehrraketen. Es ist also ein recht komplexes System. Es werden jedoch nicht alle Komponenten zwingend benötigt. Das kombinierte Radar-, und Startfahrzeug 9A38 ist in der Lage, komplett autonom Ziele zu erfassen, und zu verfolgen. Zwischen der ersten Zielerfassung und dem Start einer der vier Raketen auf dem Fahrzeug liegen dabei knapp 22 Sekunden. Unabhängig davon, ob es sich also um eine komplette Batterie, oder nur um ein einziges Fahrzeug handelt, es ist also ein leistungsfähiges System, das man nicht unterschätzen sollte.
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Kombiniertes Radar-, und Startfahrzeug des Buk-Flugabwehrsystems.
"Buk-M1-2 9A310M1-2" by .:Ajvol:. - Own work. Licensed under Public domain via Wikimedia Commons.

Wie kann es nun zu einem derartigen Abschuss kommen? Nun, da gibt es verschiedene Szenarien. Für mich persönlich gibt es da hauptsächlich vier ernstzunehmende Szenarien, die ich im folgenden einmal beschreiben möchte:

1.) Mangelnde Vertrautheit mit dem System: Wie man aus der Beschreibung des Buk-Systems herauslesen kann, handelt es sich um ein ziemlich komplexes System. Wer immer dieses also bedienen möchte, braucht Zeit, und vor allem eine vernünftige Ausbildung. Inwieweit den "Separatisten" beides zur Verfügung steht, mag ich nicht zu sagen. Fest steht jedoch aus den bisherigen Berichten, das es sich bei ihnen nicht gerade um Mustersoldaten und technisch versierte Menschen handelt. Es kann also durchaus sein, das MH 17 aufgrund einer Reihe von Fehlbedienungen abgeschossen wurde. So etwas kann durchaus vorkommen, wie die dänische Lenkwaffenfregatte Peder Skram 1982 eindrucksvoll bewiesen hat, als die Besatzung des Schiffes während eines NATO-Manövers aus Versehen eine scharfe Seezielrakete vom Typ Harpoon startete.
2. Selbstständiger Abschuss / System im Automatischen Betrieb: Eine Reihe von Flugabwehrsystemen, gerade Systeme mit geringer Reichweite, verfügen über einen Automatischen Angriffsmodus, in dem sie Ziele automatisch erfassen, klassifizieren, und angreifen. Dies hat den Hintergrund, das eine Rakete oder ein Kampfflugzeug, das 15 Kilometer entfernt geortet wird, und sich mit knapp 900 Stundenkilometern nähert, oftmals schneller wieder aus dem Schussfeld verschwunden ist, als ein Mensch reagieren kann. Die Besatzungen der HMS Argonaut, HMS Ardent, HMS Antelope, HMS Brilliant, und anderer Schiffe, die 1982 bei der Schlacht im San Carlos Water auf den Falklandinseln dabei waren, können ein Lied davon singen. Ob das Buk-System über einen derartigen Modus verfügt kann ich nicht sagen, aufgrund ihres Einsatzprofils ist dies jedoch stark anzunehmen.
3.) Verwechslung mit einem "legitimen" Ziel: Auch wenn die westlichen Medien kaum noch darüber berichtet haben, im Osten der Ukraine tobt ein ausgewachsener Bürgerkrieg, mit Polizeieinsätzen hat das schon lange nichts mehr zu tun. Das heisst also auch, das Gefechte nicht nur am Boden, sondern auch in der Luft geführt werden. Da die "Separatisten" selbst nicht über Kampfflugzeuge verfügen, hat die Ukraine zwangsläufig die Luftüberlegenheit über dem Krisengebiet. Für die Aufständischen bedeutet dies wiederum, das sie jedes Ziel, das in den Feuerbereich ihrer Flugabwehrsysteme gerät, unter Beschuss nehmen können, ohne auf eigene Lufteinheiten Rücksicht nehmen zu müssen. Dies dürfte wiederum der Ukrainischen Militärführung bekannt sein, die versuchen wird, mit Störsendern sowohl den Funk als auch etwaige Suchradare der Aufständischen zu blockieren. Ich halte es für durchaus möglich, dass das Lagebild auf dem Radarschirm des Buk-Fahrzeuges durch diesen Störfunk beeinträchtigt war. In dieser Situation hat dann die Bedienungsmannschaft das einzige Ziel ins Visier genommen, das halbwegs zu erkennen war, und damit vom System als gültiges Ziel angenommen wurde.
4.) Gezielter Abschuss: Dies ist für mich die Variante, die mir am meisten Magenschmerzen bereitet. Es hat in den Monaten, seitdem der Konflikt in der Ostukraine ausgebrochen ist, schon eine Reihe von Ereignissen gegeben, die zeigen, das die "Separatisten" zwar wieder Teil des Russischen Staates werden wollen, sich allerdings trotz logistischer, und personeller Unterstützung in kleinster Weise an die Weisungen aus Moskau gebunden fühlen. Mehrere Geiselnahmen von OSZE-Beobachtern, und die nachfolgende Weigerung diese freizulassen, trotz entsprechender Forderungen, die von Moskau unterstützt wurden, sprechen da eine deutliche Sprache. Das Verhalten gegenüber den OSZE-Beobachtern, welche die Absturzstelle untersuchen, tun da ihr übriges . Ich halte es durchaus für denkbar, das Mitglieder des Aufstandes MH17 als Machtdemonstration abgeschossen haben, um quasi zu zeigen, das auch derart hoch und schnell fliegende Ziele nicht sicher sind. Ob dies ein Alleingang der "Separatisten" war, oder ob hier ein Offizier des russischen Militärgeheimdienstes GRU versucht hat, die Situation weiter anzuheizen, kann ich logischerweise nicht genau sagen. Beide Varianten sind jedoch gleich beängstigend.

Natürlich gibt es unter den üblichen Verdächtigen schon wieder die tollsten Theorien, in denen die Ukrainische Regierung, NATO, die USA, und Barack Obama persönlich für den Absturz verantwortlich gemacht werden sollen. Von den Anschuldigungen, das der Absturz vom Weissen Haus inszeniert wurde, um von der Welle an illegalen Grenzübertritten an der Südgrenze der USA abzulenken, bis hin zu Spinnern, die behaupten, das dies ein Versuch der NATO im Zusammenspiel mit diversen Geheimbünden wäre, um den 3. Weltkrieg vom Zaun zu brechen. 
Interessant sind in diesem Zusammenhang vor allem die Behauptungen der "Volksrepublik Donezk". Natürlich weisen diese sämtliche Schuld von sich. Sie behaupten, das auch die Ukraine Flugabwehrraketensysteme des Typs Buk im Einsatz haben. Im Gegensatz zu vielen anderen Aussagen, die Sprecher Gruppierung den Tag über absondern, haben sie damit sogar Recht. Die Behauptung, das es sich hierbei um eine "False Flag"-Operation der Ukraine handeln soll ist, milde ausgedrückt, an den Haaren herbeigezogen. Um in eine Position zu kommen, von der aus man diese Maschine abschiessen könnte, hätte man zumindest ein Startfahrzeug schon deutlich vor der Ankunft der Maschine tief in Territorium schicken müssen, das von der Gegenseite kontrolliert wird. Dies hätte ohne Eskorte geschehen müssen, um kein Aufsehen zu erregen. Jedem Offiziersanwärter im 1. Jahr an jeder Militärakademie weltweit wird bereits klar sein, das dies absolut hirnverbrannt ist. Genau so gut könnte man eine Grosse Rote Schleife um das Gerät binden, und es auf dem Vorplatz der Regionalverwaltung in Donezk offiziell übergeben.
Die 2. Verlautbarung ist noch interessanter. Angeblich wollen Kämpfer für die Volksrepublik Donezk eine ukrainische Sukhoi Su-25 dabei beobachtet haben, wie diese MH17 abgeschossen hat. Wenn es nicht so verdammt ernst wäre, könnte ich bei dieser Theorie laut loslachen.
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Zwei Sukhoi Su-25 der Russischen Luftwaffe. Wie man an den Tragflächen und den Rudern am Heck erkennen kann, ist diese Maschine als Abfangjäger absolut unbrauchbar.

Die Sukhoi Su-25 ist ein reinrassiges Erdkampfflugzeug, das für einen einzigen Zweck konstruiert wurde: Effektive Luftunterstützung für die eigenen Bodentruppen zur Verfügung zu stellen. Dafür muss die Maschine in der Lage sein, relativ langsam zu fliegen, um Bomben, Raketen, etc., möglichst genau ins Ziel zu bringen, am besten ohne die eigenen Jungs zu gefährden. Deshalb sind die Tragflächen, wie auf dem Bild weiter oben sehr gut zu erkennen ist, fast gerade. Die Triebwerke, zwei R95Sh-Aggregate, verfügen nicht über Nachbrenner, und sind von ihrer Leistung her auf den Haupteinsatzbereich der Maschine in niedrigen Höhen, und bei geringer Geschwindigkeit optimiert. Bei 5000-7000 Meter Höhe geht der Maschine im wahrsten Sinne des Wortes die Luft aus. 
Die Sensorsuite der Maschine ist ebenfalls vollkommen ungeeignet für den Einsatz im Luftkampf. Das DISS-Dopplerradar ist allein für Navigationszwecke geeignet, und kann keine Luftziele verfolgen. Auch ansonsten beschränken sich die Sensoren auf einen Laserentfernunsmesser, und ein Lasergestütztes Zielsystem für Bodenziele. 
Abgesehen von den Systemischen Einschränkungen der Su-25 würde mich einmal interessieren, wie man bei einem Flugzeug, das diverse Kilometer entfernt und in 10 Kilometern Höhe unterwegs ist, feststellen kann, das sich eine 2. Maschine von hinten nähert. Ach ja, und Flugzeugtyp und Zugehörigkeit soll man auf diese Entfernung auch feststellen können.

Unabhängig davon, wie es zu dem Abschuss kam, das Endresultat ist ebenso klar, wie schrecklich. Das Wrack von Malaysia Airlines Flug MH17 ist über diverse Quadratkilometer ukrainischen Staatsgebietes verteilt. Jeder Versuch, dieses Trümmerfeld zu untersuchen, wird von Kämpfern der "Separatisten" gezielt verhindert, und internationale Beobachter werden bedroht. Und es sieht so aus, als ob die einzige Person, die etwas dagegen tun könnte, sich einen feuchten Dreck darum schert. Doch ist dies tatsächlich der Fall? Und wenn ja, was kann man dagegen tun?
Seitdem Russland Anfang 2014 im Handstreich die Halbinsel Krim annektierte, wird Wladimir Putin von vielen als Größenwahnsinniger Diktator betrachtet, der ohne Rücksicht auf Verluste ein Weltreich aufbauen will. Ich will nicht bestreiten, das dies ein Teil seiner Motivation ist, und werde auf diesen Punkt auch noch einmal zu sprechen kommen, jedoch ist es nur eine Facette dieser Sache.
Putin ist ehemaliger KGB-Offizier, und hat sein Handwerk in den 1970ern gelernt, einer Zeit, in der die institutionalisierte Paranoia selbst innerhalb des KGB extreme Züge annahm, und in der Yuri Andropov, der damalige Vorsitzende des KGB hinter jeder Ecke Anzeichen für einen Nuklearen Erstschlag der NATO sah. Dies hinterließ bei einem jungen, formbaren KGB-Neuling wie Putin natürlich Spuren, und auch der Zerfall der UdSSR vor seinen Augen kann nicht spurlos an ihm vorbeigegangen sein. All dies kam zu der in den Russischen und Sowjetischen Regierungskreisen vorherrschenden "regulären" Paranoia hinzu.
Um diese Paranoia zu erläutern, habe ich mir erlaubt, mich selbst zu plagiarisieren, und aus meinem Artikel über die Invasion auf der Krim vom 6. März diesen Jahres zu zitieren:

Die Invasionen durch die Mongolen im Mittelalter, durch Napoleon Anfang des 19. Jahrhunderts, und durch Hitler 1941 haben eine tiefe Spur in der kollektiven Psyche Russlands, vor allem auf Führungsebene, hinterlassen. Es herrscht dort ein tiefes Misstrauen gegen die Westlichen Nationen vor, und man setzt alles daran, einen direkten Grenzkontakt mit Machtblöcken zu vermeiden, die eine militärische Gefahr für das Russische Mutterland darstellen. Neben Stalin's Machtgier war auch dieser Gedanke einer der Gründe für den Aufbau des Warschauer Pakts als Gegengewicht zur NATO. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des Warschauer Paktes Anfang der 1990er schien dann genau das einzutreten. Während Russland am Boden lag, und kaum in der Lage war, seine eigene Bevölkerung zu erhalten, begannen viele der ehemaligen Vasallen des Riesenreiches, sich gen Westen zu orientieren. Als schliesslich die Baltischen Staaten EU-, und NATO-Mitglieder wurden, war genau das eingetreten, was die Sowjetische Aussenpolitik über Jahrzehnte verhindern hatte wollen. Es gab eine direkte Grenze zwischen Russland und dem alten Feind NATO. 

Putin's Handeln muss immer vor diesem Hintergrund gesehen werden. Als Geheimdienstoffizier versteht er es außerdem, geschickt aus dem Hinterhalt heraus zu agieren, und sich nicht in die Karten sehen zu lassen. Ein derartiges verdecktes Vorgehen hat ihm den Handstreich auf der Krim ermöglicht, und offenbar hatte er vor, auch in der Donbass-Region der Ukraine so vorzugehen. Die Anwesenheit von Igor Vsevolodovich Girkin, einem Offizier des Russischen Militärgeheimdienstes GRU, der besser unter seinem Decknamen Igor Strelkov bekannt ist, deutet darauf hin. Die angewandte Taktik erinnert mich stark an den gezielten Einsatz von Provokateuren durch die NS-Regiereung im Sudetenland 1938. 
Doch wie passt der Absturz da rein? Für mich sieht es stark danach aus, als ob die Russischen Geheimdienste bei ihren Aktivitäten im Donbass auf die falschen Leute gesetzt haben. Das Verhalten der Aufständischen an der Absturzstelle, ja der Abschuss selbst, deuten darauf hin, das dem Kreml die Kontrolle über die "Separatisten" zu entgleiten scheint. Die Sudetenland-Taktik scheint für Putin nach hinten loszugehen.
Unabhängig davon, weshalb MH17 jetzt tatsächlich abgeschossen wurde, ist es in meinen Augen zwingend erforderlich, gegenüber Russland einen erheblich härteren Kurs zu fahren, und zwar politisch, wirtschaftlich, und militärisch. Sanktionen müssen verschärft werden, und Europa muss endlich ernsthafte Schritte unternehmen, um sich von Russischen Öl-, ud Gaslieferungen unabhängig zu machen. Joint Ventures mit russischen Firmen sollten eingestellt, oder zurückgefahren werden. Russische Investitionen in Westeuropa sollten ganz genau unter die Lupe genommen werden. Sollte sich herausstellen, das der Erwerb von Immobilien und sonstigen Anlagen in London und sonstwo in Europa mit Mitteln finanziert wurde, die aus Kremltreuen Quellen stammen, so sollten diese Käufe ohne Entschädigung der Käufer rückabgewickelt werden.
Auf der Politischen und Diplomatischen Front ist es in meinen Augen Zeit, die Beziehungen mit Russland einzufrieren. Botschafter in Russland sollten abgezogen werden, Russische Diplomaten im westlichen Ausland ausgewiesen werden. Die Zusammenarbeit in internationalen Gremien sollte auf das absolute Mindestmaß reduziert werden, während gleichzeitig die Politischen Beziehungen mit den Satellitenstaaten wie Georgien und auch der Ukraine selbst gefestigt werden. Die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens durch die Ermittler des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag ist bei einem derartigen Kriegsverbrechen, und nichts anderes ist das Massaker von 298 unschuldigen Zivilisten, eigentlich ein Selbstläufer, und sollte hier schnellstmöglich erfolgen.
Nicht zuletzt muss auch auf militärischer Schiene vorgegangen werden. Ein Angriff auf Russland, oder auch nur ein militärisches Eingreifen im Bürgerkrieg in der Ukraine ist natürlich absoluter Irrsinn, wer dafür plädiert braucht in meinen Augen dringend eine psychologische Untersuchung, da er oder sie an offensichtlichen Wahnvorstellungen leidet. Vielmehr ist eine dauerhafte Verstärkung des militärischen Engagements der NATO in Osteuropa erforderlich. Das Baltic Air Policing der NATO, die Routinemäßige Verlegung kleiner Kontingente an Kampfflugzeugen auf den Luftwaffenstützpunkt Siauliai in Litauen, wurde bereits von vier auf zwölf Maschinen aufgestockt. Eine erneute Aufstockung auf jeweils ein komplettes Geschwader, sowie die Entsendung eines Kontingentes an Bodentruppen, um die Basis in Siauliai und den zweiten Stützpunkt in Ämari in Estland abzusichern.
Ebenso wird es Zeit, die grossen NATO-Manöver, wie REFORGER wieder aufleben zu lassen. Diesmal sollten die Manöver jedoch nicht in Deutschland, sondern in Polen, Bulgarien, oder Rumänien stattfinden, jeweils im Osten der betroffenen Länder. Derartige Manöver in Divisionsstärke, nur wenig mehr als 100 Kilometer von der eigentlichen Grenze entfernt, sollten ein klares Zeichen setzen, das man nicht länger gewillt ist, einfach nur zuzusehen, wie Russland jedes Fünkchen Dissens in seinen Nachbarstaaten abwürgt. 
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Das Amphibische Landungsschiff Dixmude, ein Schiff der Mistral-Klasse, 2012 in der Bucht von Jounieh im Libanon. Russland hat zwei Schiffe dieser Klasse in Frankreich bestellt, die Vladivostok, und die Sevastopol.



Last but not least sollte auch eines der spektakulärsten Militärischen Geschäfte der letzten Zeit endlich abgebrochen werden. Im Januar 2011 unterzeichnete Russland einen Kaufvertrag für zwei amphibische Landungsschiffe der französischen Mistral-Klasse. Diese Schiffe, im Endeffekt Hubschrauberträger mit einem internen Dock für bis zu vier Landungsboote und Stellplätzen für die Fahrzeuge eines kompletten Panzerbattalions, sollten den Kern einer neuen amphibischen Kampfgruppe der Russischen Marine bilden. Das erste Schiff, die Vladivostok, soll im November diesen Jahres in Dienst gestellt werden, während das Schwesterschiff Sevastopol ein Jahr später folgen soll. In Anbetracht des immer aggressiveren militärischen Auftretens Russlands sollte die französische Regierung ernsthaft in Betracht ziehen, die Auslieferung der Schiffe ungeachtet der dadurch entstehenden Strafzahlungen, abzubrechen. 
Im Herbst 1983, ich war gerade 2 Jahre alt, und laut Aussage meiner Eltern hauptsächlich als Luftschutzsirene zu gebrauchen, kam es über der Insel Sakhalin im Russischen Fernen Osten zu einer Tragödie, als aufgrund einer Abfolge von unerkannt gebliebenen Navigationsfehlern, Fehlinterpretationen, und übertriebener Paranoia Flug 007 der Korean Air Lines von einem Abfangjäger der Sowjetischen Luftverteidigungskräfte, der PVO Strany, abgeschossen wurde. Ich selbst habe davon damals natürlich nichts mitbekommen, im Nachhinein betrachtet ähnelt die damalige Situation der heutigen jedoch frappierend, bis hin zu den starken internationalen Spannungen sowohl zwischen den einzelnen Machtblöcken, als auch innerhalb dieser Blöcke. Hinzu kommt hier jedoch auch noch der Aspekt eines territorialen Übergriffes durch eine der Parteien in dieser schrecklichen Situation. Die Entwicklung seit dem Handstreich auf der Krim hat gezeigt, das Appeasement nichts bringt, doch wie kann man diesem Konflikt, diesem Rückfall in alte Gewohnheiten, Einhalt gebieten? Ich befürchte, das diese Generation auf Gedeih und Verderb an dieser Frage gemessen werden wird. 
Doch unabhängig davon ist und bleibt der Abschuss von Malaysia Airlines Flug MH17 vor allem eines: Eine Menschliche Tragödie unermesslichen Ausmaßes. Bei allen Konsequenzen, die aus diesem Ereignis folgen werden, sollten wir dies niemals vergessen. Lasst uns dieses Ereignis ein Mahnmal sein für die Auswirkungen von übertriebenem Nationalismus, für Größenwahn, und den Irrglauben, das eine Nationalität zwangsläufig besser seien muss als alle anderen. 

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