Panta Rhei - Alles fliesst. Auch Sprachen?

Es gibt immer wieder Artikel und Interviews, die einem im Gedächtnis bleiben. Ein solcher Artikel, genauer gesagt ein Interview, kam mir heute während der Mittagspause in die Finger. Dieses Interview, das Spiegel Online mit dem Sprachforscher Karl-Heinz Göttert geführt hat, war für mich in vielen Punkten wie Balsam für meine linguistische Seele. Es ging nämlich um den Einfluss anderer Sprachen auf das Deutsche. 
Seit Jahren hört man immer wieder die gleiche Leier: Die Deutsche Sprache stirbt! Nur noch englische Wörter! Die Jugend spricht doch nur noch so einen fremden Kauderwelsch! Wir werden sprachlich unterwandert. Alles ist eine Verschwörung, um die deutsche Sprache zu eliminieren! Werner, die Russen sind da!
Ich persönlich betrachte diese Linguistischen Hilferufe einfach nur als lächerlich und erbärmlich. Als jemand, der ab dem 12. Lebensjahr konsequent zweisprachig erzogen und ausgebildet wurde, und der darüber hinaus auch die Geschichte Europas, die Geschichte Deutschlands, und der Deutschen Sprache kennt, ist mir nur zu klar, das praktisch jede Sprache Europas ein buntes Sammelsurium aller möglichen Einflüsse ist. Selbst Sprachen wie das Finnische, oder das Ungarische, die beide zwar untereinander verwandt sind, aber ansonsten eher dem Klingonischen ähnlich sind, als anderen irdischen Sprachen, haben sich immer wieder bei anderen Sprachen bedient, nur das man es bei diesen aufgrund der starken Modifizierung der betroffenen Wörter kaum noch merkt. Wenn man sich jetzt Sprachen, wie z.B. Englisch anschaut, dann wird man feststellen, das diese Sprache fast ein Drittel ihres Vokabulars aus dem Französischen übernommen hat. Im Asiatischen Bereich haben fast 50% der Wörter im Japanischen ihre Wurzeln im Chinesischen. 
Warum ist dann vor diesem Hintergrund das Geschrei in Deutschland so groß? Nun, Professor Göttert schweigt sich im Spiegel-Interview darüber aus, wenn man allerdings eine gewisse Zeit im Ausland gelebt hat, und somit einen Blick von außen auf das Land hatte, dann werden einem die Gründe ziemlich schnell klar. Deutschland war seit seiner Vereinigung 1871 traditionell eine Nation, die sich durch sehr starken Patriotismus ausgezeichnet hat, der im Laufe der Jahrzehnte zu einem aggressiven Nationalismus wandelte. Die Resultate dieser Entwicklung sind uns wohl bekannt, und grauenhaft. Nachdem diese Ideologie in den Ruinen des 3. Reiches ihr Ende gefunden hatte, gab es für die Deutschen erst mal nicht viel, an dem sie sich orientieren konnten. Dies geriet im Wirtschaftswunder schnell wieder in Vergessenheit, als man sich dem "Wir sind wieder wer"-Gefühl hergab. Außerdem waren die Grenzen noch da, man hatte also wieder einen Orientierungsrahmen. 
Dann kamen in schneller Folge die Wiedervereinigung und die de-Facto Abschaffung der Europäischen Grenzen als Folge des Schengener Abkommens. Auf einmal war Europa offen. Die Folgen Jahrzehntelanger Misswirtschaft in der ehemaligen DDR begann, die deutsche Wirtschaft ordentlich aus der Bahn zu werfen. Viele Konstanten, an denen man sich orientiert hatte, lösten sich innerhalb weniger Jahre in Luft auf. Aber immerhin hatte man noch das Futter des Wirtschaftswunders, die D-Mark. 
Doch dann kam der Euro. Zeitgleich stutzten die Anschläge vom 11. September 2001 und der aufkommende Krieg gegen den Terror nicht nur Deutschland und Europa, sondern die ganze Welt in einen chaotischen Strudel, aus dem wir bis heute nicht ganz entkommen sind. An was will man sich da noch orientieren. Da blieb nur eins übrig: Die Deutsche Sprache. Der Kampf gegen die Überfremdung der deutschen Sprache wurde zu einem letzten Halt für diejenigen, die mit der modernen offenen Welt der Globalisierung überfordert sind.
Und somit kämpft eine kleine Schar Menschen, die sich selbst wie linguistische Tempelritter sehen, die sich den Heiden entgegenstellen, für die Reinheit einer Sprache, die selbst nur das Resultat eines Jahrtausends von Einwanderung, Auswanderung, und Sprachlicher Vermischung ist. Eine Reinheit der Deutschen Sprache ist somit ein Ding der Unmöglichkeit. Natürlich kann man den Französischen Weg gehen, und einem "Zentralkomitee der Deutschen Sprache" die alleinige Hoheit über die Weiterentwicklung des Deutschen geben. Dies ist jedoch aus mehr als nur einem Grund suboptimal. Neben der Tatsache, das man nicht nur ein Land, sondern gleich drei dabei koordinieren müsste, würde eine derart künstliche Abgrenzung auch Barrieren schaffen. Ich habe es selbst während meiner Ausbildung bei Apple gemerkt. Meine Französischen Kollegen, allesamt intelligente, geistig hellwache, kosmopolitische Menschen, bei denen ich froh bin, sie kennengelernt zu haben, hatten Schwierigkeiten, dem Training zu folgen, da die französische Sprache, gerade was den IT-Bereich angeht, künstlich abgeschottet ist. Dies sorgte aus meinem Blickwinkel für zusätzliche Unsicherheiten bei den Kolleginnen und Kollegen wenn es darum ging, Englisch zu sprechen, Unsicherheiten, die nicht nötig waren, da die Englischen Sprachkenntnisse unabhängig von etwaigen starken Akzenten eigentlich auf einem hohen Niveau waren. Was sich also auf dem Papier, und an irgendwelchen Stammtischen in von Inzucht geprägten Landstrichen, gut anhört, sorgt im wirklichen Leben für mehr Probleme, als das damit gelöst werden.
Zumal gerade im Deutschen viele Lehnwörter nicht einfach nur übernommen, sondern angepasst, ja geradezu assimiliert werden. So ist das in Deutschland mittlerweile allgegenwärtige Handy ein Ausdruck, den es im Englischen gar nicht gibt. Dies wird nicht unbedingt als negativ gesehen im Englischen Bereich. Ein Leitfaden für neu in Deutschland angekommene US-Soldaten fand diesen Ausdruck sogar recht gut, das dieses Wort recht passend für Mobiltelefone war, da diese im besten Wortsinne "handy", also praktisch waren.
Auch jetzt, wo wir mittlerweile im 2. Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts angekommen sind, gehen derartige Assimilationen weiter. So wie sich die Welt um uns herum weiter entwickelt, so entwickelt sich auch das Deutsche weiter. Natürlich gibt es gerade jetzt Menschen, die versuchen, gegen diese Weiterentwicklung anzukämpfen, nicht zuletzt ein Bundesverkehrsminister der CSU, der demonstrativ nur noch mit einem Klapprechner arbeitet. Wenn ich mir jedoch die Bilanz einer Amtszeit im Verkehrsministerium anschaue, dann frage ich mich, ob dieser Sprachliche Chauvinismus-Ausflug einfach nur eine linguistische Nebelkerze ist, die von einer katastrophalen politischen Leistung ablenken soll. Abseits derartiger Nebenschauplätze zeigt die Deutsche Sprache mit ihrer kontinuierlichen Evolution vor allem, das sie lebendig ist. Wenn wir etwas googeln, oder mal wieder ein Shitstorm über einen besonders dämlichen Politiker hereinbricht, was leider viel zu selten passiert, dann zeigt sich darin nicht zuletzt die Flexibilität der Deutschen Sprache, fremde Einflüsse aufzunehmen, und das beste daraus nutzbar zu machen. Für diejenigen, die mit einem aufgeklärten Weltbild durchs Leben gehen, sind weder die sich ändernde Sprache, noch die Möglichkeiten des Internets #Neuland.

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